1. Ursprung und Gründung

Infarm wurde im August 2013 in Berlin gegründet – von Osnat Michaeli sowie den Brüdern Erez und Guy Galonska Wikipedia. Aus einer spontanen Idee, frische Kräuter ganz nah am Verbrauchenden zu produzieren, entstand ein innovatives Konzept: das Urban Farming im städtischen Raum, realisiert in einem umgebauten Wohnwagen im Berliner Stadtteil Kreuzberg.

2. Technologische Grundlage und Ansatz

Infarm setzt auf sogenannte „modulare Hydroponiksysteme“ – stapelbare, vertikale Farming-Einheiten, die in Supermärkten, Restaurants oder Lagerräumen installiert werden können WikipediEIF. Pflanzen wie Kräuter, Salate oder Microgreens wachsen dabei in einer nährstoffreichen Lösung statt Erde. Sensoren sammeln dabei zehntausende Datenpunkte, die in Echtzeit in die Cloud übertragen werden. So können Licht, Feuchtigkeit, Temperatur und Nährstoffe optimal gesteuert werden EIF. Dank dieser Technologie spart Infarm im Vergleich zur traditionellen Landwirtschaft bis zu 95 % Wasser, nutzt 90 % weniger Transport und kommt ohne chemische Pestizide aus WikipediaNoCamelsWIRED.

3. Geschäftsmodell und Wachstum

Die Farmsysteme wurden als „Farming-as-a-Service“ angeboten: Infarm installierte die Systeme bei Einzelhändler:innen oder Restaurants, steuerte sie zentral und erntete regelmäßig – häufig sogar „live“ vor Ort im Verkaufsraum Canvas TemplatesWikipediaWIRED. Bereits 2019 arbeiteten sie mit über 30 großen Handelsketten in Europa zusammen und planten, bis 2030 in etwa 20 Länder auf drei Kontinenten sowie im Nahen Osten zu expandieren Wikipedia.

4. Finanzierung und Bewertung

Die Wachstumsphase war finanziell sehr ambitioniert: Eine Serie-B-Finanzierungsrunde erfolgte 2018 (rund 20 Mio. €), im September 2020 folgte eine größere Runde über etwa 170 Mio. US-Dollar. Bis zum Jahr 2021 sammelte Infarm insgesamt mehr als 600 Mio. US-Dollar ein und beendete das Jahr als erstes deutsches Foodtech-Unicorn mit einer Bewertung von über 1 Milliarde US-Dollar WikipediaGoldenWelt. Gleichzeitig stiegen Umsätze – 2019 etwa 2 Mio. €, 2020 rund 5,2 Mio. € – jedoch bei hohen Verlusten (2019 etwa 24,4 Mio. €, 2020 rund 48 Mio. €) WikipediaWelt.

5. Herausforderungen und strategische Einschnitte

Trotz innovativer Technik zeigte sich die Wirtschaftlichkeit schwierig: Hohe Energie- und Kapitalaufwendungen belasteten das Modell, ebenso die Komplexität der Skalierung. Ab 2022 begann Infarm, Mitarbeiter:innen zu entlassen – mehr als die Hälfte der Belegschaft wurde reduziert. Zugleich zog sich das Unternehmen aus Märkten wie Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden sowie Teilen Nordamerikas zurück . Im Sommer 2023 erfolgte schließlich ein kompletter Rückzug aus Europa. Die deutsche Muttergesellschaft meldete Insolvenz an WikipediaSifted.

6. Neuausrichtung und Zukunftsperspektive

Unter dem neuen Namen Infarm Technologies Limited wurde das verbliebene Geschäft strategisch neu ausgerichtet. Ein Fokus liegt nun auf einem spezialisierten Zielmarkt: der koscheren Produktion von Salatpflanzen unter kontrollierten Bedingungen – zunächst in Toronto, Kanada. Die neuen Eigentümer:innen akquirierten dabei Vermögenswerte und geistiges Eigentum des alten Unternehmens für über 40 Mio. € – mit rein symbolischem Wert für das IP-Kapitel (lediglich 1 €). Gleichzeitig bleiben rechtliche Herausforderungen aus der alten Struktur bestehen, etwa laufende Verfahren mit Investor:innen.

7. Bedeutung und Ausblick

Infarm ist ein auffälliges Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen der vertikalen Landwirtschaft: Es demonstrierte, dass nachhaltige, lokale Lebensmittelproduktion technologisch möglich ist, aber zugleich, wie teuer und herausfordernd die wirtschaftliche Skalierung solcher Modelle sein kann. Der neue Ansatz – spezialisiertes Angebot in Nordamerika – zeigt einen pragmatischen Weg aus der Krise.

Fazit

• Pioniergeist trifft Technologie: Infarm brachte eine Kombination aus Hydroponik, IoT und Cloud-Steuerung in den urbanen Einzelhandel und wartete mit beeindruckenden Nachhaltigkeitskennzahlen auf.
• Finanzierung vs. Wirtschaftlichkeit: Hoher Kapitalbedarf und operative Komplexität führten zu erheblichen Verlusten und letztlich zum Rückzug aus Europa.
• Neuer Fokus, neue Chancen: Unter neuer Leitung versucht Infarm, über Nischenmärkte – etwa koschere Produktion in Nordamerika – wieder an Relevanz zu gewinnen.
• Vertikale Landwirtschaft bleibt relevant: Trotz der Herausforderungen bleibt der Ansatz ein zukunftsweisender Baustein im Kontext nachhaltiger, urbaner Nahrungsmittelproduktion.